Herr Alexander
Herr Alexander (bürgerlich: Johann Friedrich Alexander Heimbürger, * 4. Dezember 1819 in Münster - † 25. Juli 1909 ebd. ) war ein Varieté- und Zauberkünstler, der im 19. Jahrhundert mithalf, die Kunst des Zauberns und des Illusionierens vom Budenzauber der Jahrmärkte in die großen Theatersäle zu holen.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Jugend
Alexander Heimbürger wurde in Münster als Sohn eines Regierungsboten geboren. Der damals noch „Fritz“ gerufene Junge interessiert sich bereits während der Schulzeit für Mechanik und physikalische Experimente. Dieses Interesse wurde durch den Auftritt des Wiener Zauberkünstlers Ludwig Döbler im Stadttheater dahin gelenkt, dass der sechzehnjährige Heimbürger sich entschloss, das Handwerk eines Zauberers zu lernen. Er beschaffte sich die einschlägige Literatur, erlernte Kunststücke mit Spielkarten und experimentierte. Er begann eine Ausbildung in einer lithographischen Werkstatt, wurde 1835 bei einem Landrat Volontär und trat später als Sekretär in den Dienst eines Rechtsanwalts.
Lehrjahre als Zauberer (1839 - 1843)
Als er 1839 dem Jahrmarktszauberer Friedrich Becker begegnete, gab Heimbürger seine Stelle auf, reiste dem als „Professor der Magie“ bekannten Artisten nach Leipzig, Rostock und Kopenhagen hinterher und bewarb sich bei ihm um eine Anstellung als Assistent. 1840 schloss er sich dem polnischen Schausteller Kalewsky an, kurze Zeit später einer russischen Artistenfamilie. Bei seinem ersten Auftritt in Hannover wählte er, um seinen bürgerlichen Namen verschweigen zu können, das Künstlerpseudonym „Herr Alexander“. Erste Erfolge stellten sich bei Auftritten im Jahr 1840 in Hamburg ein. Sie sicherten ihn finanziell so weit ab, dass er sich selbständig machen konnte. Einen Teil des Verdienstes investierte er in technische Apparate und die Ausstattung seiner Auftritte, um sein Programm stetig erweitern und ausbauen zu können. Zu seinen spektakulären Tricks dieser Zeit gehörte das Einfangen einer abgeschossenen Gewehrkugel oder das Entzünden von bis zu 200 Kerzen durch einen Pistolenschuss. Im Anschluss an die Hamburger Auftritte machte Herr Alexander eine Gastspielreise durch Norddeutschland. Im Dezember 1842 kehrte er – jetzt mit einem bekannten Namen – in seine Heimatstadt Münster zurück und trat dort mehrmals im Stadttheater auf.
Erfolge in Nord- und Südamerika (1843 – 1853)
Am 20. November 1843 brach Herr Alexander von Bremerhaven aus nach Nordamerika auf „um reich und berühmt“ zu werden. Er wurde von seinem vierzehnjährigen Bruder August Heimbürger begleitet. Die ersten drei Monaten in den Vereinigten Staaten mit einem Engagement in Niblo’s Garden in New York waren schwierig und wenig erfolgreich. Heimbürger musste erst Englisch lernen und benötigte bei den Auftritten einen Dolmetscher. Doch bereits im Frühjahr 1844 sicherten bejubelte Shows den finanziellen Erfolg. Nach rund 60 Auftritten in New York führte ihn eine ausgedehnte Tournee durch die USA und durch Kanada. Eine Vorstellung für den elften Präsidenten der Vereinigten Staaten, James Polk (1795 – 1849), im Weißen Haus in Washington brachte ihm ein Empfehlungsschreiben Polks ein, mit dem er Ende 1847 auf einem Schiff der US-Navy nach Havanna (Kuba) gelangte. Er lernte rasch Spanisch und Portugiesisch und dehnte seine Tournee nach Mexiko, Guatemala, Panamá, Argentinien, Chile aus. 1852 trat er in Rio de Janeiro mehrere Male vor dem brasilianischen Kaiser Dom Pedro II. auf.
Herr Alexander arbeitete mit elektrischen Experimenten, perfektionierte seine Tricks und Inszenierungen und erfand ständig neue, immer spektakulärere Darbietungen: Das Wunder von Hindustan oder Das in der Luft schwebende Kind gilt als die weltweit erste Levitations- , d. h. „Schwebe“-Nummer. Weitere Programmpunkte mit teilweise poetischen Namen wie Hervorbringung eines wunderschönen kleinen Mädchens aus einem Ei, das Erscheinen von Wasserschalen und Blumen aus dem Nichts oder Die Geisterglocke machten seinen Namen in Amerika so bekannt, dass er auch Eingang in Herman Melvilles 1851 erschienenen Roman Moby Dick fand [Anm. 1].
Von immer häufiger auftretenden infektiösen Krankheiten geplagt, aber endlich „reich und berühmt“, kehrte Heimbürger nach zehn Jahre dauernder Abwesenheit am 25. September 1853 nach Münster zurück und setzte sich hier zur Ruhe.
"Ruhestand“ in Münster (1853 - 1909)
Mit 35 Jahren hatte Heimbürger in Amerika soviel Geld verdient, dass er die Berufszauberei aufgeben konnte. Er trat danach nur nach gelegentlich auf Benefizveranstaltungen auf. Am Krummen Timpen erwarb er das Haus Nr. 16, heiratete 1857 Anna Schalle und nach deren Tod 1861 Elisabeth Vogelsang. Mit beiden Frauen hatte er zusammen zehn Kinder. Er beteiligte sich am gesellschaftlichen Leben in der Stadt und wurde Mitglied im Civilclub. 1878 erfand er H. Bürgers Digestiv-Salz das in der Folgezeit unter verschiedenen Namen als Wund- und Abführmittel vertrieben wurde und noch in den 1950er Jahren auf dem Markt war.
Während seiner Reisen hatte Heimbürger Tagebuch geführt. Diese Tagebucheintragungen dienten ihm als Material, als er 1882 eine zweibändige Autobiographie schrieb. Um 1900 verfasste er ein Lehrbuch für junge Zauberer.
Am 16. April 1877 machte der Kaiser von Brasilien, Dom Pedro II. auf der Durchreise mit der Eisenbahn Station in Münster und traf sich mit Heimbürger zu einer Unterhaltung über ihre Bekanntschaft 1852 in Rio. Auch der Entfesselungs- und Zauberkünstler Harry Houdini (alias Erich Weisz) suchte am 17. März 1903 Alexander Heimbürger in Münster auf, nachdem er bei Recherchen für ein Buch über Zauberkünstler auf den Herrn Alexander gestoßen war, der sich fünfzig Jahre zuvor zur Ruhe gesetzt hatte.
Heimbürger, der in seinen letzten zwanzig Lebensjahren kaum noch aus dem Haus ging, starb am 25. Juli 1909 mit neunundachtzig Jahren in Münster, sein Grab auf dem Zentralfriedhof wurde 2005 wieder hergerichtet; der zwischenzeitlich entfernte Grabstein wurden 2007 wieder aufgestellt.
Bedeutung für die Zauberkunst
Der „Budenzauber“ mit Gaukeleien und Taschenspielereien gehörte seit dem 16. Jahrhundert zu den gängigen Unterhaltungen auf den Jahrmärkten und Kirmessen in Europa, auch auf dem Send in Münster. Händler lockten mit einfachen Tricks wie dem Hütchen- oder Becherspiel Kundschaft an ihre Marktstände. Etwas entwickelter musste das Trickrepertoire der Unterhaltungsillusionisten sein, die ihr Hand- und Fingerwerk einsetzten, um „für den Hut“ zu spielen. Erst das späte 18. und das 19. Jahrhundert brachten die „hohe“ Zauberkunst hervor, die „große Illusionen“ entstehen ließ, indem sie technische Apparate und naturwissenschaftliche Kenntnisse einsetzte. Entscheidend für den Erfolg eines Zauberkünstlers beim Publikum waren die prachtvolle und blendende Inszenierung, die „Magie“ und die Aura, mit der der Magier sich umgab. Die Zauberkunst eroberte im 19. Jahrhundert die Theaterbühnen und die Salons der „feineren“ Gesellschaft; auch der junge Heimbürger hatte sich durch eine Vorstellung in Münsters Stadttheater von der Magie anstecken lassen. Mit dem Franzosen Jean Eugène Robert-Houdin (1805 - 1871) und dem Schotten John Henry Anderson (1814 - 1874) gehörte Herr Alexander zu den stilvoll gekleideten, stilbildenden und technisch versierten Illusionisten, die aus den Gaukelspielen der Jahrmärkte erst die Zauberkunst als Kunstform schufen.
Das Stadtmuseum erinnerte mit einer kleinen Ausstellung vom 17. Juli bis zum 20. September 2009 an den einhundertsten Todestag des „berühmten Herrn Alexander“.
Literatur
- Alexander Heimbürger: Ein moderner Zauberer : Tagebuchblätter von Alexander (Alexander Heimbürger) (mit einer Einleitung von „Levin SchückingWP“); Münster : Coppenrath 1882 (2 Bände)- Neuausgabe: Gerolzhofen : Spiegel-&-Co-Verl. 2009, ISBN 3-931177-24-6
- Alexander Heimbürger: Das Zauberbuch : Bearbeitet von Alexander Heimbürger. Mit 66 Abbildungen. Herausgegeben von der Redaktion des guten Kameraden; Stuttgart : Union Deutsche Verlagsgesellschaft, ca. 1901
Weblink
Anmerkung
- [Anm. 1] : Im 6. Kapitel von Moby-Dick, or, The Whale : „Go and gaze upon the iron emblematical harpoons round yonder lofty mansion, and your question will be answered. Yes; all these brave houses and flowery gardens came from the Atlantic, Pacific, and Indian oceans. One and all, they were harpooned and dragged up hither from the bottom of the sea. Can Herr Alexander perform a feat like that?" - In der deutschen Übersetzung von Richard Mummendey (Moby Dick oder Der Wal; Düsseldorf und Zürich : Artemis und Winkler 1996, ISBN 3-538-05382-O, S. 63) : „Geh und schau dir diese eisernen Harpunen an, die dort an den herrschaftlichen Häusern als Embleme angebracht sind, und du hast die Antwort auf deine Frage. Ja, alle diese biederen Häuser und Blumengärten kommen aus dem Atlantik, dem Pazifik und dem Indischen Ozean. Eins wie das andere sind sie mit der Harpune vom Grund des Meeres heraufgeholt worden, Bringt Herr Alexander etwas Ähnliches zustande?“