Astronomische Uhr: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 28. Oktober 2017, 20:15 Uhr
Die Astronomische Uhr, die sich im Inneren des Doms befindet, wurde in den Jahren 1540 - 1542 von dem Buchdrucker und Mathematiker Dietrich Tzwyvel gebaut.
Inhaltsverzeichnis
Standort der Uhr; allgemeine Einordnung des Typs
Die Uhr befindet sich im südlichen Chorumgang des Domes in der Trennwand zum Hochchor, mit dem "Gesicht" nach Süden gerichtet, gegenüber einem Fenster. Dieser Standort ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: die meisten vergleichbaren Uhren, nach Prof. M. Schukowski die sog. "Ostsee- oder Hanse-Uhren", befanden oder befinden sich im Chorhaupt der jeweiligen Kirchen. Könnte ein Grund für den ungewöhnlichen Standort in Münster das gegenüberliegende Fenster sein, welches der Uhr gutes Licht gibt? — Hängt die Tatsache, dass allein auf der münsterischen Uhr der Sonnen- (und zugleich Stunden-)zeiger gegen den Uhrzeigersinn läuft, mit dem Standort zusammen?
Beschreibung der Uhr
Die Uhr besteht aus drei übereinander stehenden Teilen:
Zuunterst, hinter einem noch aus der Zeit der Neugestaltung der Uhr im Jahre 1540 stammenden gotischen Gitter, das Kalendarium. Es kann einmal als Kalender für jeden Tag des Jahres benutzt werden. Es sollte zugleich die Berechnung des Ostertermins für jedes beliebige Jahr von 1540 bis zum Jahre 2071 ermöglichen, was aber seit der Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. im Jahre 1582 nur noch mit Zusatzberechnungen möglich ist.
Darüber befindet sich die eigentliche Uhr: In der Mitte das 24-Stunden-Zifferblatt (2 x 12 Stunden), die Folge der gotischen Ziffern links herum laufend; darauf sieben Zeiger für die sieben Planeten nach dem ptolemäischen System. Als exzentrischer Kreis innerhalb des Stundenkreises der achte, der sog. Tierkreiszeiger, der das jeweilige Tierkreiszeichen angibt. In den vier Zwickeln des Zifferblattes die Symbole der vier Evangelisten (r. o. Mensch für Matthäus, u. r. Löwe für Markus, u. l. Stier für Lukas, o. l. Adler für Johannes) mit Spruchbändern aus den jeweiligen Evangelien. Rechts außen aufsteigend, links absteigend die sog. Planetentafel, welche die 24 Stundenregenten der Stunden jedes Tages angibt.
Im darüber liegenden Giebel-Stockwerk ist, in der Manier der Renaissance, ein Stall von Bethlehem dargestellt. Das schadhafte Dach spielt darauf an, dass die Zeit des "Alten Bundes" durch die Geburt Jesu an ihre Ende gekommen ist. Oben im Giebel die Figur des jungen David mit dem Schwert in seiner rechten Hand, dem abgeschlagenen Haupt des Riesen Goliath in seiner Linken - Bethlehem gilt als die Davidsstadt, weshalb ja Jesus dort geboren sein musste. In dem gemalten Gesims unterhalb der David-Figur die Inschrift: LUDGERI RINGII MO[NASTER]IENSIS OPUS, d. h. Werk des Ludger tom Ring aus Münster.
In der Mitte des unteren Gesimses, über dem Kopf der Madonna, noch einmal sein Signet: ein um einen Ring geschlungenes "L". — Innerhalb der beiden Türen, zu beiden Seiten der Madonna, kann man durch die beiden gemalten Doppelarkaden in ein gotisches Zimmer blicken; auf der rechten Seite ist darin die Figur des hl. Josef gemalt.
Ganz links außen bläst der "Tutemann" zu jeder vollen Stunde die Zahl der Stunden in sein Horn, seine Frau, rechts von ihm stehend, schlägt sie dazu auf ihrer Glocke.
Rechts außen stehen die beiden Figuren des Viertelstundenschlages, aufgestellt erst im Jahre 1696 (POSITUM ANNO 1696 steht auf dem Sockel). Jede Viertelstunde dreht der geflügelte Chronos, der Gott der Zeit mit der Sense und mit Flügeln, weil "die Zeit fliegt", seine Sanduhr um; der Tod rechts von ihm, ein Totengerippe mit dem Todespfeil in der Hand, schlägt die jeweilige Viertelstunde auf der Glocke an.
In der Mitte befindet sich ein siebenseitiger Balkon (auf der Stirnseite die Jahreszahl 1542), in dessen Mitte Maria thront mit dem Jesuskind auf ihrem Schoß. Um 12 Uhr mittags (sonntags 12.30 h) läuft folgendes Figurenspiel ab als Illustration der "Dreikönigsgeschichte" aus Kap. 2 des Matthäus-Evangeliums: Von rechts hinter dem Giebel setzt sich der Stern von Bethlehem in Bewegung und dreht sich vor, bis er in der Mitte über der Madonna stehenbleibt. Dann öffnet sich die Tür rechts von der Madonna, heraus tritt zuerst ein junger Diener, gefolgt von den Figuren der Hl. Drei Könige. Sie defilieren von rechts nach links vor der Madonna, wobei die drei Könige sich ehrfürchtig vor ihr verneigen. Ein zweiter, alter Diener beschließt das Defilé. Dazu erklingen von einem Glockspiel die beiden Melodien "In dulci jubilo" und "Lobe den Herren".
Links und rechts von dem Balkon sind je vier Doppelarkaden gemalt, aus denen Herbeigeeilte dem Schauspiel des Vorbeizuges der hl. drei Könige zusehen. Auf der linken Seite ganz rechts, mit rotem Mantel, rotem Barett und goldener Kette hat sich Ludger tom Ring selbst porträtiert. Unter den anderen Figuren links dürften weitere Personen dargestellt sein, die am Bau der Uhr beteiligt waren. — Unklar ist, wen die Personen in den Arkadenöffnungen auf der rechten Seite darstellen; die dunkelhäutigen Männer mit Kraushaar rechts außen sind wohl Diener aus dem Gefolge der drei Könige. — Es ist aufgefallen, dass sich unter den gemalten Personen kein Geistlicher und keine Frau befindet.
Technische Daten
Höhe der Uhr: 7,8 m
Breite des Mittelteils: 4,1 m
Durchmesser des Zifferblattes: 3,0 m
Durchmesser der Kalenderscheibe: 1,5 m
Höhe der Planetentafeln: 2,3 m
Gewicht des Rete: 110 kg
Das Ablesen einzelner Funktionen
Kalendarium
Die Kalenderscheibe dreht sich im Laufe des Jahres einmal um ihre Mitte. Sie ist in drei Zonen eingeteilt: Sechs konzentrische Ringe außen enthalten Angaben zu den 532 Jahren (1540 - 2071), auf welche die Uhr durchgerechnet ist. Eine dicke grüne Kreislinie trennt die äußere Zone von den inneren sechs Kreisen mit Angaben zu den 365 Tagen eines jeden Jahres. Im Zentrum steht die Schnitzfigur des hl. Paulus, des Dompatrons, umgeben von zwölf runden Miniaturen der Monatsbilder, auf welchen typische Tätigkeiten in den zwölf Monaten des Jahres dargestellt sind mit je einem passenden Spruch.
Das jeweils zutreffende Jahr wird durch den von der Paulusfigur im Zentrum ausgehenden Zeiger angezeigt. Dieser ist der einzige, der nicht vom Uhrwerk angetrieben wird, sondern vom Domküster zu Neujahr von Hand um ein Jahr weitergerückt werden muss. Er dreht sich mit der Kalenderscheibe weiter.
Die Ringe der äußeren Zone mit den Angaben zum Jahr geben von außen nach innen an:
Ring 1: die Jahreszahl des laufenden Jahres;
Ring 2: den Osterbuchstaben zur Berechnung des Ostertermins jeden Jahres;
Ring 3: den Mondzyklus oder die Goldene Zahl;
Ring 4: den Sonntagsbuchstaben zur Berechnung des Wochentages für jedes Datum; (Zwei Kreise: Normaljahre und Schaltjahre);
Ring 5: das Intervallum: Angaben zur Länge des Zeitraums zwischen Weihnachten und Fastnacht (Zwei Kreise: a) Anzahl der Wochen; b) Übrigtage);
Ring 6: die Indiktionen ("Römerzahl"), im Mittelalter zur Konfirmierung des Jahresdatums benutzte Periodenangabe.
Die innere Zone (Kreise innerhalb des grünen Kreises):
Ring 7: Das Datum nach heutiger Zählung;
Ring 8: Den Tagesbuchstaben zur Bestimmung jeden Wochentages;
Ring 9: Datumsangabe nach dem römischen Kalender;
Ring 10: Der Monatsname;
Ring 11: Tagesheilige und unbewegliche Kirchenfeste;
Ring 12: Osterbuchstabe zur Berechnung des Ostertermins mit Hilfe der Angaben von Ring 2.
Eine Heroldsfigur am rechten Rand der Kalenderscheibe hat auf ihrem Schild die Worte stehen HAEC EST DIES HODIERNA = Dies ist der heutige Tag; mit seinem Zeigestock zeigt der Herold auf das zutreffende Tagesdatum.
Das Kalendarium ist für den Zeitraum einer Großen Indiktion (= 532 Jahre) beschriftet. Theoretisch wären seine Angaben bis auf die Jahreszahlen auch für die nächste Indiktion (2072-2604) gültig. Allerdings sind seit der Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. im Jahre 1582 die Wochentags- und Osterberechnungen nur noch mit komplizierten Umrechnungen zu erstellen. Um den Kalender wieder mit dem wirklichen Sonnenstand in Einklang zu bringen, ließ der Papst damals auf den 4. Oktober gleich den 15. folgen ließ und veränderte die Schaltjahrsregelung.
Der Uhr-Teil in der Mitte
Die lateinische Inschrift
Die lateinische Inschrift oberhalb des Ziffernkreises weist auf die wichtigsten Funktionen der Uhr hin: "In hoc horologio mobili poteris haec aliaque multa dignoscere:..." (Übersetzt: "Auf dieser beweglichen Uhr kann man dies sowie vieles andere ablesen: Die Zeit der gleichen und ungleichen Stunden; den mittleren Gang der Planeten; das aufsteigende oder absteigende Tierkreiszeichen, überdies die Aufgänge und Untergänge einiger Fixsterne. Ferner auf beiden Seiten des Werkes die Herrschaft der Planeten in den astronomischen Stunden. Oben den Opfergang der drei Könige, unten das Kalendarium mit den beweglichen Festen.")
Der Ziffernkreis
Auf den ersten Blick verwirrend ist die Tatsache, dass der 24-Stunden-Kreis entgegen dem uns heute geläufigen Uhrzeigersinn auf dieser Uhr links herum läuft. Anders als heutige Uhren sind auf ihm zudem 2 x 12 Stunden aufgetragen. Der dazugehörige Uhrzeiger ist jener mit der kleinen Sonne. Er zeigt mit einer Umdrehung die Zeit für die Dauer eines vollen 24-Stunden-Tages an, unten beginnend mit I Uhr in der Nacht über XII Uhr Mittag ganz oben, und dann die Nachmittagsstunden wieder mit I beginnend bis Mitternacht XII ganz unten. Umgangssprachlich geben wir ja auch heute noch die Zeit oft in dieser Manier an. Wenn es auch schon im Mittelalter 24-Stunden-Zifferblätter auf Uhren gab, führen doch erst moderne Fahrplänen zur offiziellen die Durchzählung der Stunden von 1 bis 24 Uhr.
Die 24 Stunden-Ziffern sind römische Zahlen in gotischer Schrift, nicht gemalt, sondern aufgelegt. Außerhalb des Ziffernkreises sind die vier Himmelrichtungen angegeben mit Oriens (= Osten) rechts außen, Meridies (= Süden oder Mittag) ganz oben über der Inschrift, Occidens (= Westen) und ganz unten Septentrio (= Norden).
Innerhalb des Ziffernringes läuft eine dünne Linie, die eigentlich aus 1440 feinen senkrechten Strichen besteht. Dieser Strich-Kreis ist unten beschriftet als Horarum minutae = die "Minuten der Stunden". Jeder Strich steht also für eine Minute. Die Striche sind jeweils zu fünfzehn, d. h. einer Viertelstunde, zusammengefasst in kleinen Paketen von abwechselnd je 15 rot-schwarzen und dann wieder 15 weiß-schwarzen Strichen. Dennoch lässt sich die Uhrzeit kaum minutengenau ablesen, weil die Striche zu dünn, der Zeiger zu dick und zu weit vom Ziffernkreis entfernt ist. — Einen Minutenzeiger im heutigen Sinne gibt es auf dieser Uhr nicht; ein solcher war im Jahre 1540 noch nicht in Gebrauch.
Wiederum innerhalb des Minutenkreises sind in einem Kreis von 360 abwechselnd weißen und roten Kästchen die 360 Winkelgrade eines Kreises aufgetragen, wichtig vor allem für die genaue Positionsbestimmung der Sterne mit Hilfe der Weltkarte auf der Mater. Sie in Fünfer-Intervallen mit Zahlen von (unten beginnend) 5 bis 360 beschriftet.
Die Planetenzeiger
Die Planetenzeiger zeigen den jeweiligen Standort der sieben Planeten am Himmel an nach dem geozentrischen System des Ptolemäus (~ 100 n. Chr.): Von innen nach außen sind dies: Mond (lat. Luna) - Merkur - Venus - Sonne (lat. Sol), Mars - Jupiter - Saturn. Das Buch des Kopernikus, der statt der Erde die Sonne ins Zentrum stellte (heliozentrisches System) wurde erst im Jahre 1543 veröffentlicht, als die Uhr schon fertig war.
Der zunächst wichtigste Zeiger ist der Sonnenzeiger. Er folgt mit seinem Umlauf von Ost nach Süd und weiter über Westen nach Norden genau dem Lauf der Sonne am Himmel und gibt zugleich die Uhrzeit an.
Ein kleines Gewicht hält die Sonne auf dem Zeiger immer in aufrechter Stellung. Außerdem ist sie auf dem Zeiger nach oben und unten verschiebbar und kann damit noch eine weitere Funktion erfüllen, nämlich die Anzeige der Polhöhe der Sonne über dem Horizont. Erreicht wird das dadurch, dass auf der Rückseite der Sonne ein kleiner Schuh angebracht ist, der in einer Nut am Außenrand des Tierkreises geführt wird. Durch die Exzentrizität des Tierkreises wandert sie auf dem sich langsam unter ihr drehenden Tierkreis: von ihrer größten Nähe zum Mittelpunkt der Uhr am 21. Juni bis zu ihrer äußersten, dem Außenrand am nächsten liegenden Position am 21. Dezember. Da der Mittelpunkt der Uhr als Nordpol gedacht ist, zeichnet so die kleine Zeiger-Sonne die jährliche Bewegung der Sonne am Himmel zwischen dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis nach. - Der Regenbogen am der Sonne entgegengesetzten Ende des Zeigers hat keinerlei astronomische Funktion; er ist nur Verzierung.
Der Mond-Zeiger ist durch eine Kugel am Ende seines doppelschaligen Zeigers erkennbar. Der innere Zeiger trägt eine zur Hälfte silberne, auf der anderen Hälfte schwarze Kugel; diese wird rückwärts umfangen von einer Halbkugel. Durch die Mechanik eines "Zeigers im Zeiger", welche die schwarz-silberne Kugel innerhalb der Halbkugel dreht, wird nicht nur die Position des Mondes am Himmel, sondern auch seine Phase angezeigt.
Der Merkur-Zeiger, durch ein Fähnchen als solcher gekennzeichnet, ist fest im Winkel von 29˚, seiner größten Elongation von der Sonne, mit deren Zeiger verbunden. Da Merkur wegen seiner geringen Elongation bei seinem Auf- und Untergang stets von der Sonne überstrahlt wird und deshalb in unseren Breiten kaum je am Morgen- oder Abendhimmel zu sehen ist, sparte man sich vermutlich die Mühe eines eigenen Antriebs.
Die Zeiger der übrigen vier Planeten Venus, Mars, Jupiter und Saturn tragen wie der Merkur-Zeiger kleine Fähnchen mit ihren Namen und geben wie Sonnen- und Mondzeiger die genaue Position dieser Planeten am Himmel an. Die fünf Namensschildchen sind auf den Zeigern in unterschiedlicher Höhe angebracht, damit sie sich nicht gegenseitig verdecken.
Das Rete
Den Hintergrund der Zeiger bildet ein Kreis, dessen Inneres durch Rankenwerk verziert ist. Diese Scheibe, in der heutigen Form aus Phosphatbronze gegossen, wird Rete (lat. = Netz) genannt. Das ursprüngliche Rete der Erbauungszeit der Uhr war aus Holz, vermutlich wie ein gotisches Radfenster gestaltet, ähnlich der Innenfläche des Kalendariums unten. Als es mit der Zeit wurmstichig und brüchig geworden war, musste es im Jahre 1660 erneuert werden, wieder aus Holz, aber diesmal in barocken Formen. Bei der Erneuerung der Uhr um das Jahr 1930 wählte man die damals noch erhaltenen Reste des barocken Rete als Vorbild für den Bronzeguss.
Auf dem Rete sind mit goldenen Sternchen die Lage von 14 Fixsternen und die Plejaden markiert, allerdings ohne deren Namen.
Der Tierkreiszeiger
Exzentrisch innerhalb des Rete und ein Teil desselben ist der Tierkreis, an den zwölf aufgemalten Sternzeichen leicht als solcher zu erkennen. Oben wurde erwähnt, dass die Nut an seinem äußeren Rand zu jeder Jahreszeit die Polhöhe der Sonne angibt. Außerdem zeigt er zuverlässig das Sternzeichen an, in welchem die Sonne gerade steht. Dieser Teil des Rete wird deshalb auch der Tierkreiszeiger genannt. Bewerkstelligt wird diese Anzeige des jeweiligen Sternbildes dadurch, dass das Rete und damit auch der Tierkreiszeiger sich mit dem Sonnenzeiger mitdreht. Bei dieser täglichen Umdrehung drehen sich aber Rete mit Tierkreiszeiger um ein Dreihundertfünfundsechzigstel schneller als der Sonnenzeiger, so dass dieser täglich um diesen Wert hinter der Umdrehung des Rete zurückbleibt. Im Laufe eines Jahres macht dieses tägliche Zurückbleiben der Sonne gegenüber Rete mit Tierkreiszeiger eine ganze Umdrehung aus. So durchwandert der Sonnenzeiger, wie die Sonne am Himmel auch, rückwärts laufend jedes Jahr einmal den ganzen Tierkreis und steht jeweils genau in dem gerade zutreffenden Zeichen.
Die Planetentafeln
Auf den Außenrändern der Uhrscheibe rechts und links befinden sich, rechts aufsteigend und links absteigend, also dem Drehsinn der Uhr folgend, die sog. Planetentafeln. Sie nennen die Stundenregenten des jeweiligen Tages, wobei der Regent der ersten Stunde gleichzeitig auch der Tagesregent und Namensgeber des Tages ist.
Am Sonntag etwa ist in den untersten drei Zeilen rechts zu lesen: IN I HO REGIT SOL, abgekürzt für in prima hora regit Sol, übersetzt: "In der ersten Stunde regiert die Sonne". Von der Tatsache, dass der Regent der ersten Stunde des Tages auch der Namensgeber des Tages ist, heißt dieser Tag Sonntag. In den drei Zeilen darüber ist als Regentin der zweiten Stunde Venus angegeben, gefolgt von Merkur für die dritte und dem Mond (LUNA) für die vierte Stunde. Da die Planeten sich in der ptolemäischen Reihenfolge jeweils von außen nach innen in der Stunderegentschaft ablösen, folgen jetzt für die fünfte Stunde, von außen neu beginnend, Saturn, sechstens Jupiter, siebtens Mars, achtens dann wieder Sonne und so weiter. — Die zweiundzwanzigste Stunde fällt nach dieser Folge wieder der Sonne zu, die dreiunfdzwanzigste der Venus, die vierundzwanzigste dem Merkur, und, wenn es denn eine fünfundzwanzigste Stunde gäbe, fiele diese dem Mond zu. Die fünfundzwandzigste Stunde ist aber die erste Stunde des Folgetages, der damit als Regent der ersten Stunde folglich auch Tagesregent des nach ihm benannten Mon[d]tages ist. Diesem System verdanken unsere sieben Tage der Woche ihre Namen und ihre Reihenfolge. — In den romanischen Sprachen ist die Herkunft der Namen von den Planeten noch deutlich zu erkennen, während in den germanischen Sprachen die lateinischen Namen der Planetengottheiten durch deren Entsprechung im germanischen Götterhimmel ersetzt sind: Französisch Mardi (nach Mars) ist im Deutschen Dienstag (nach dem Gott Tiu), Jeudi (nach Jupiter) ist im Deutschen Donnerstag (nach Donar), am Freitag ist die romanische Venus durch die germanische Freia ersetzt. Am Mittwoch und Samstag sind im Deutschen die Götternamen durch andere Benennung unterdrückt, im Englischen jedoch als Wednesday (nach Wotan) bzw. Saturday (nach Saturn) noch deutlich zu erkennen.
Die korrekte Anzeige der jeden Tag wechselnden Stundenregenten wird folgendermaßen bewirkt: Hinter den 24 Schlitzen der Planetentafeln sind siebenseitige Holztäfelchen auf einer Welle drehbar angeordnet. Auf den sieben Stirnseiten dieser Täfelschen stehen die Namen der sieben Planeten. Um Mitternacht drehen sich die beiden Wellen rechts und links jeweils um eine siebentel Umdrehung weiter, so dass hinter den 24 Schlitzen jeden Tag der Name des zutreffenden Stundenregenten ablesbar ist.
Die Mater der Uhr
Auf dem Hintergrund des Zifferblattes befindet sich, durch Rete und Zeiger leider stark verdeckt, eine spiegelverkehrte Landkarte, darstellend die Erdoberfläche vom Nordpol (= Mittelpunkt) bis zum südlichen Wendekreis, dem 360˚-Kreis innerhalb des Ziffernkranzes und Minutenringes. Diese Karte wurde im Jahre 1662 von Henrich Schmidts aus Münster aufgemalt, nach dem Vorbild einer Weltkarte von Blaeu, die während der Friedensverhandlungen zum Westfälischen Frieden von 1646 bis 1648 als Gastgeschenk nach Münster gekommen war.
Normale Landkarten werden von einem Punkt oberhalb des Erdoberfläche aufgenommen. Bei der Himmelsbeobachtung ist die Blickrichtung genau umgekehrt, von unten nach oben. Die Weltkarte auf der Rückseite der Uhr ist nun von einem etwa am Südpol der Erde gelegenen Punkt aus aufgenommen: Der Betrachter schaut sozusagen durch die Erde hindurch auf den Himmel über Münster. Er blickt dabei von unten durch die Erdoberfläche hindurch, die dabei im Vergleich zu einer Landkarte spiegelverkehrt zu sehen ist.
In diese spiegelverkehrte Erdkarte sind mehrere Liniensysteme eingetragen: Zunächst, von Münster ausgehend, die der Himmelsrichtungen; auf der Karte liegt Münster etwas oberhalb des Nordpols, dem Mittelpunkt der Karte. Eingetragen sind senkrecht die Nord-Süd-Richtung, waagerecht dazu, nach den Seiten leicht heruntergebogen, die Ost-West-Richtung, dazwischen die 45-Grad-Zwischenunterteilungen. In konzentrischen Kreisen um den Standort Münster herum sind sodann in 15-Grad-Schritten die Polhöhen über Münster abzulesen: Von 90° senkrecht über Münster bis zu der 0°-Linie, dem theoretischen Horizont von Münster aus, eine Kreislinie, die östlich bei der IX und westlich bei III auf die Außenlinie der Mater stößt. Sie ist als HORIZONT OBLIQUS gekennzeichnet (= "der schiefe Horizont"); bis zu dieser Linie würde man von Münster aus den Sternhimmel beobachten können.
Konzentrisch um den Mittelpunkt der Mater ist eine Ringlinie eingezeichnet, beschriftet als Tropicus canceri, das ist der Wendekreis des Krebses oder auch nördlicher Wendekreis. Von diesem ausgehend führen zwölf leicht bogenförmige Linien zum äußeren Rand der Mater, von links nach rechts im Uhrzeigersinn unserer Uhr bezeichnet mit römischen Ziffern von I bis XII. An ihnen sind die ungleichen Nachtstunden abzulesen. — Während wir heute den Tag von Mitternacht zu Mitternacht in 2 x 12 = 24 gleich lange Stunden unterteilen, gab es im Mittelalter eine gebräuchlichere Einteilung, welche den hellen Tag in zwölf und ebenso die Nacht in zwölf Stunden unterteilte. Logischerweise waren dabei die zwölf Tagstunden im Sommer länger als die Nachtstunden, im Winter war es umgekehrt. Nur zu den beiden Tagen der Tag- und Nachtgleiche, am 21. März und am 21. September, waren alle 24 Stunden gleich lang. Die Tafelinschrift besagt, dass auf der Uhr neben den gleichen auch die "ungleichen" Stunden angegeben seien. Wenn nun heute nur noch die ungleichen Nachtstunden abgelesen werden können, muss man schließen, dass bei der Neubemalung der Uhr mit der Weltkarte im Jahre 1660 auf das Liniensystem für die ungleichen Tagstunden verzichtet wurde, vermutlich, weil diese damals bereits außer Gebrauch gekommen waren.
Ein weiteres Liniensystem von 12 Linien geht vom Nordpunkt auf der Horizontlinie aus. Diesmal gegen den Drehsinn unserer Uhr sind die 12 Linien mit arabischen Ziffen von 1 bis 12 durchnummeriert; Linie 1 stößt zwischen VIII und IX auf den Ziffernkranz, Linie 4 genau bei der XII = Mitternacht, auf die XII für Mittag stößt die Linie 10. Diese Linien bezeichnen die 12 Himmelshäuser und geben für Astrologen wichtige Informationen. In der Astrologie sind jedem des sieben Planeten unterschiedliche "Häuser" zugewiesen. Um zuverlässig ein Horoskop stellen zu können, ist nicht nur die Stellung der einzelnen Planeten zu einander zu berücksichtigen, sondern auch, in welchem Haus sie gerade stehen: Im eigenen, oder in dem eines anderen, entweder freundlichen oder feindlichen Planeten.
Geschichte der Uhr
1408: Erste astronomische Uhr im münsterischen Dom, gebaut angeblich von einem Mönch aus dem Kloster Hude bei Oldenburg.
1534: Im Bildersturm der Täuferbewegung Verwüstung des Domes; die astronomischen Uhr wird "gantz totschlagen und in grundt vordorven". Über den Umfang der damaligen Beschädigung der Uhr und damit auch den Umfang ihrer Erneuerung 1540- 1542 gibt es unterschiedliche Vermutungen.
1540 - 1542: Errichtung der jetzigen Uhr durch Dietrich Tzwyvel, Buchdrucker und Mathematiker, der zusammen mit Johann von Aachen, Franziskaner und Domprediger, die Berechnungen lieferte, sowie dem Schlosser Nikolaus Windemaker, der das Werk von Hand schmiedete, ferner Ludger tom Ring, der unter Assistenz seiner Söhne die Malerei auf dem Gehäuse schuf.
1582 : Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. Auf den 4. Oktober folgt der 15. Oktober. Der Kalender wird "vorgestellt", dazu wird eine neue Regelung der Schaltjahre eingeführt. - Die Berechnung der Osterdaten und der Wochentage aus den Angaben des Kalendariums sind seitdem nur noch mit Schwierigkeiten möglich.
Kurz nach 1660 : Die Weltkarte wird spiegelverkehrt, weil für astronomische Zwecke, auf den Hintergrund des Zifferblattes aufgemalt. Das hölzerne Rete wird in barocken Formen erneuert.
1696 : Uhrwerk erneuert; Viertelstundenschlag mit Chronos (Zeitgott) und Tod hinzugefügt.
Nach 1707 : Auf dem Hochchor, mit der Rückseite zur astronomischen Uhr, wird bei der Errichtung des Grabmals für Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg in dieses eine Uhr mit rechts herum laufenden Zeigern integriert, die vom Werk der astronomischen Uhr mit angetrieben werden; das Grabmal wurde nach dem Krieg an die Westwand des nördlichen Ost-Querhausarmes versetzt.
1818 : Scheren-Stiftgang mit 4 Meter langem Pendel eingebaut. Dies führt durch das Knallen zu erheblicher Lärmbelästigung im Dom.
Im ganzen 19. Jahrhundert : durchgängig Klagen über den schlechten Zustand der Uhr.
1927 : Die Uhr schlägt zum letzten Male; sie soll entfernt werden.
1929 - 1932 : gründliche Erneuerung der Uhr und Einbau eines neuen Werkes auf Initiative von Peter Werland, Journalist, und Theodor Wieschebrink, Diözesankonservator. Ernst Schultz und Erich Hüttenhain vom astronomischen Seminar der Universität Münster liefern die Berechnungen des Werkes unter Mitarbeit von Wilhelm Nonhoff. Turmuhrmeister Heinrich Eggeringhaus von der Turmuhrenfabrik Korfhage in Buer bei Melle baut das Werk.
Während des II. Weltkrieges wird das Werk ausgelagert. Im Bombenhagel halten die Gewölbe über der Uhr stand, das Gehäuse bleibt dank Sicherungsvorkehrungen fast unbeschädigt erhalten.
21. Dezember 1951 : Nach Beseitigung der Kriegsschäden wird die Uhr wieder in Gang gesetzt.
Warum eine astronomische Uhr im Dom?
In allen Kulturen war es Aufgabe der Priesterschaft, die Termine der religiösen Feste zu bestimmen. Auf dem Konzil von Nikäa (325) war festgelegt worden, dass das Osterfest gemeinsam in der gesamten Christenheit gefeiert werden sollte am ersten Sonntag nach Frühlingsvollmond. Dieses Datum musste schon im Voraus - denn Vorfastenzeit und Fastenzeit beginnen ja bereits mehr als 60 Tage vor Ostern, - genau bestimmt werden. Zur Vorausberechnung der relevanten Daten aber bedarf es genauer astronomischer Kenntnisse. Astronomische Uhren konnten für diese Terminbestimmungen eine große Hilfe sein.
Nach der Erfindung der Spindel-Waag-Hemmung kurz nach dem Jahre 1200 kommen erste Uhren in Gebrauch. Zunächst nur mit Schlagwerken verbunden, werden sie nach Hinzufügung auch von Zeigern und Zifferblättern zu richtigen Uhren. Im Laufe der Zeit werden die Uhren immer komplizierter, haben immer mehr Funktionen, können schließlich auch astronomische Details anzeigen.
Dazu mussten Astronomen den Verlauf der Gestirne vorausberechnen. Die astronomischen Berechnungen mussten in Zahnräder umgerechnet werden, die Zahnräder von Hand geschmiedet und zu Uhrwerken zusammengebaut werden - eine großartige Leistung! Da die Schmiede bzw. Schlosser als Material Weicheisen nahmen, kamen die Zeitangaben allerdings auch nicht entfernt an die Präzision unserer heutigen Uhren heran; durch Abnutzung nahm die Genauigkeit der Werke im Laufe der Zeit weiterhin ab. So ist es nicht verwunderlich, dass von den über 1000 Uhren, die sich nachweisen lassen, nur ganz wenige bis heute überdauert haben. Unter diesen ist die Uhr in Münster in ihrer heutigen Form zwar die jüngste, darf aber mit ihrer Bemalung durch Ludger tom Ring als die schönste angesehen werden und war neben jener, die im Jahre 1942 in in der Lübecker Marienkirche verbrannte, die einzige, bei der neben den Stellungen von Sonne und Mond in der Ekliptik auch die klassischen fünf Planeten angezeigt werde. Außerdem besitzt sie das am weitesten vorausberechnete Kalendarium.
Astrologie in der Kirche ?
Zur Entstehungszeit der Uhr in ihrer heutigen Form, dem Jahr 1540, Spätphase der Renaissance, war die Astronomie praktisch nur die Magd der Astrologie und wurde betrieben, um Horoskope zu stellen. Könige, Kaiser und Päpste hielten sich Hofastrologen, um vor wichtigen Entscheidungen aus der Konstellation der Gestirne zu erfahren, ob ihre Planungen von Erfolg begünstigt seien. Schon im alten Babylonien suchte man die Zukunft und Bestimmung des Schicksals mit Hilfe der Gestirne zu ergründen.
Auch in der Bibel finden sich Hinweise, dass Gott durch die Sterne zu den Menschen spricht: Im 2. Kapitel des Matthäus-Evangeliums werden die drei Weisen durch einen Stern aus dem Morgenlande nach Bethlehem zur Krippe des Jesuskindes geführt - als kleines Figurenspiel jeden Mittag oberhalb der Uhr in Szene gesetzt. - Und kurz vor dem Weltende "werden Zeichen an Sonne, Mond und Sternen erscheinen (...) und dann wird man den Menschensohn auf einer Wolke kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit" (Lk 21,25.27).
Wenn also in der Bibel Gott durch Sternzeichen zu Menschen spricht - was kann dann an der Astrologie verwerflich sein?
Die Menschen in der Zeit der Renaissance waren sich bei aller Horoskop-Gläubigkeit freilich bewusst, dass die aus der Konstellation der Gestirne herausgelesenen Hinweise stets nur als Warnungen zu verstehen waren und durch diese angekündigtes Unheil durch Gegenmaßnahmen abgewendet werden konnte. Ein kurzer lateinischer Vers aus der Erbauungszeit der Uhr - hier übersetzt - macht das Gemeinte deutlich:
Sterne regieren den Menschen,
die Sterne jedoch regiert Gott.
Die Sterne hören auf Gott,
und Gott auf die Bitten der Frommen.
Literatur
- Geisberg, Max; Die alte Domuhr nach der Wiederherstellung; in: Das schöne Münster, 5. Jahrgang; Heft 1 (1. Januar 1933)
- Wieschebrink, Theodor; Die astronomische Uhr im Dom zu Münster. Herausgegeben von Erich Hüttenhain mit einem Beitrag von Paul Pieper und Bildern von Wilhelm Rösch; Münster : Aschendorff 1968 (1. Aufl.), 1983 (2. Aufl.), ISBN 3-402-05980-0
- Die astronomische Uhr im Dom zu Münster, zusammengestellt von Trude Hüttenhain; Münster : Aschendorff 2001 (8. Aufl.), ISBN 3-402-05984-3 (32-seitige Zusammenfassung des Werks von Theodor Wieschebrink)
- Schukowski, Manfred; Wunderuhren. Astronomische Uhren in Kirchen der Hansezeit ; Schwerin : Thomas Helms Verlag 2006; ISBN 3-9357-03-1 (Die Seiten 86 - 93 behandeln ausschließlich die Uhr im Dom von Münster)