Timm Ulrichs

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Timm Ulrichs (* 31. März 1940 in Berlin) ist ein deutscher Künstler und emeritierter Professor.

Biographie

Timm Ulrichs verlebte die frühe Kindheit in Bremen. Die Mutter war Stenotypistin und der Vater, der in Südafrika geboren war und eine englische Mutter hatte, technischer Zeichner. Die Familie wurde 1943/44 nach Prenzlau evakuiert, bis die Russen kamen, floh dann in die amerikanische Zone. Die Mutter und vier Kinder schafften es bis ins Oldenburger Land, in die Nähe von Wildeshausen. In der Nähe von Dötlingen erlebten sie das Kriegsende mit. 1954 zog die Familie nach Bremen, wo Ulrichs 1959 das Abitur ablegte. Er begann anschließend ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Hannover, das er 1966 nach dem Vordiplom abbrach. Er war zunächst als freier Künstler aktiv, jobbte als Eisverkäufer und Tellerwäscher.

Bereits 1961 gründete Ulrichs eine „Werbezentrale für Totalkunst & Banalismus“ mit „Zimmer-Galerie & Zimmer-Theater“. 1969 kam eine „Kunstpraxis (Sprechstunden nach Vereinbarung)“ dazu. Da er mit Galeristen nicht zurechtkam, verkaufte er Plakate, Postkarten, Flugblätter und Drucksachen selbst. 1968 bezeichnete er sich selbst als „zu Unrecht verkanntes Genie aus Hannover“. „Künstler wird man durch Entschluss, nicht durch Talent“, bekannte Ulrichs am 6. September 1985 gegenüber dem Zeit Magazin.

Als selbsternannter „Totalkünstler“ ist Ulrichs seit 1959 aktiv. In diesem Jahr gründete Ulrichs die „Werbezentrale für Totalkunst, Banalismus und Extemporismus“ in Hannover, die zur Verbreitung, Entwicklung und Produktion von Totalkunst dienen sollte. Weiterhin erklärte er sich 1961 zum „ersten lebenden Kunstwerk“ und organisierte 1966 eine öffentliche „Selbstausstellung“ in Frankfurt am Main.Ulrichs war von 1969 bis 1970 Gastprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und von 1972 bis 2005 Professor für Bildhauerei und Totalkunst an der Kunstakademie Münster.

Seine erste Totalkunst-Retrospektive fand 1970 in Krefeld statt, sieben Jahre später war er Teilnehmer der Documenta 6 in Kassel. Große Einzelschauen fanden 1980 in Lüdenscheid, 1991 in Madrid und Recklinghausen, 2001 in Antwerpen (Plastik und Skulpturen) sowie 2002 in Hannover (Druckgrafik) statt.

Vom 28. November 2010 bis zum 13. Februar 2011 widmeten das Sprengel Museum und der Kunstverein Hannover „dem Pionier der Konzeptkunst und selbst ernannten «Totalkünstler» Timm Ulrichs“ eine große Retrospektive unter dem Titel Betreten der Ausstellung Verboten.

Im Januar 2020 wurde Ulrichs für sein Lebenswerk mit dem Käthe-Kollwitz-Preis geehrt. Unter dem Titel „Weiter im Text“ präsentierte die begleitende Ausstellung in der Akademie der Künste „einen viel zu kleinen Ausschnitt“ seines Œuvres. Eine weitere Ausstellung im März im Haus am Lützowplatz unter dem Motto „Ich, Gott und die Welt“ sollte in 100 Tagen um je eine Arbeit wachsen und so einen wirklichen Überblick über sein Werk vermitteln.

Ulrichs ist verheiratet, seine Frau lebt in Berlin.

Werk

Ulrichs arbeitet interdisziplinär. Er ist ein Vertreter von Neodadaismus, Body Art und Konzeptkunst. Ebenfalls beschäftigt sich Ulrichs mit Druckgrafik, dem Künstlerbuch und Performance-Kunst. Bekannt ist er darüber hinaus durch seine Beschäftigung mit der Sprache. Ulrichs setzt Tautologien, Paradoxien und Mehrdeutigkeiten in der Sprache künstlerisch um – z. B.: „Am Anfang war das Wort am …“ – sowie verbale Begriffe, meist in Form von Plastiken oder Installationen.

Kontinuierlich hat Ulrichs auch Kunst im öffentlichen Raum betrieben. Große, oft themen- und standortbezogene Plastiken von Ulrichs sind zu sehen u. a. vor dem Magdeburger Hauptbahnhof (Erd-Achse), nahe der Münchner Allianz-Arena in Fröttmaning (Versunkenes Dorf), im Freilichtmuseum Middelheim in Antwerpen (Musterhäuser, Typ Bomarzo), in der Altstadt von Recklinghausen (Das Ganze und die Teile), in Bergkamen (Pyramide zum Mittelpunkt der Erde), in Mülheim/Ruhr-Styrum (Zwischen den Zeilen), in Sinsheim (Hausgeburt), vor der Galerie Nordhorn (Der Findling), in Essen etwa 150 m nordöstlich des Museum Folkwang (UMRAUM) und am Marktplatz Einbeck (von null bis unendlich).

Ab 1968 begann Ulrichs Installationen für eine Fotoserie unter dem Titel „Fotografieren verboten“, die er über mehrere Jahre fortführte.

Timm Ulrichs’ kritische Sicht auf den zeitgenössischen Kunstbetrieb führte bereits auf dem ersten Internationalen Kunstmarkt Köln (IKM) 1975 zu dessen Aktion Ich kann keine Kunst mehr sehen. Ulrichs persiflierte, mit Blindenstock und Armbinde auftretend, die nach seinen eigenen Worten „immer weiter um sich greifenden musealen Friedhöfe“.

2012 wurde Timm Ulrichs in die Stiftung für Konkrete Kunst und Design Ingolstadt aufgenommen.

Ulrichs' Tätowierungen

Im Jahr 1974 lässt Ulrichs sich im Goethe-Institut in Barcelona über dem Herzen eine Zielscheibe tätowieren; er „tätowierte sich zur lebenden Zielscheibe“. Ulrichs wollte, nach eigenem Bekunden, „mit einem politischen Manifest die Gegner des Franquismus unterstützen.n-2/Audio-Podcast?bcastId=5926032&documentId=42096692| titel=Timm Ulrichs, Totalkünstler| autor=Norbert Joa| werk=ardmediathek.de| datum=11. April 2017| zugriff=2017-07-10| offline=ja| archiv-bot=2019-05-18 16:25:05 InternetArchiveBot}}</ref> Die Idee zu dieser Aktion stammt aus dem Jahr 1971.

Bilder der von Streckenbach nachbearbeiteten Zielscheibentätowierung werden erstmals im Rahmen der Sonderausstellung Tattoo-Legenden. Christian Warlich auf St. Pauli (2019/20), Abteilung Streckenbach-Kohrs-Ulrichs, im Museum für Hamburgische Geschichte gezeigt.

Im Rahmen der Ausstellung „Timm Ulrichs: Tätowier-Bilder“ (12. Januar – 9. März 1975) im Kunstverein Hannover, fand am 26. Januar 1975 eine Tätowier-Aktion statt, auf der Horst Streckenbach, neben sechs weiteren Personen, sein späteres Mentee Manfred Kohrs vor laufender Kamera des NDR tätowierte. Eine Auswahl an Standard-Tätowiermotiven wurde 1975 von der Kestnergesellschaft- Hannover als Siebdruckmappe (limitiert 1-100/100, sign., dat. und nummeriert, 60 × 60 cm), herausgegeben. Am 28. Januar 1975 berichtete der NDR in der Sendung Nordschau-Magazin über das „Happening im Kunstverein Hannover. „Sammy“ aus Frankfurt über seine Kunst und das Tätowieren“.

„Mein Leben wird von der Geburt bis zum Tod ununterbrochen gefilmt“, plante Ulrichs bereits 1961. Auf sein rechtes Augenlid ließ er sich 1981 ebenfalls von Streckenbach die Worte „The End“ tätowieren<ref>THE END, Dokument einer Tätowieraktion von Horst Streckenbach, Samy´s Tattoo Studio, Frankfurt am Main, 16. Mai 1981, Timm Ulrichs: Ausstellungskatalog: Betreten der Ausstellung verboten, Hrsg. Kunstverein Hannover und Sprengelmuseum, 2011, S. 59 Vgl. Christina Sticht, Timm Ulrichs: Pionier der Konzeptkunst, nw-news.de, 31. März 2010.</ref><ref>situation-kunst.de Abgerufen am: 31. Oktober 2010</ref> Das Ende ins Auge gefasst hat Timm Ulrichs 1970 im Rahmen seiner in Literatur, Aktion, Video und Fotografie ausgeführten Werkgruppe »Filmvorstellungen, vorgestellt« (1961–1971): „Um zu demonstrieren, daß alles, was in mein Blick-Feld fällt oder mir unter die Augen kommt, Film ist, beschrifte ich (mittels Tätowierung) meine Augenlid-Vorhänge (…) mit dem Wort, Ende‘: Schließen sie sich, ist auch mein Augen-Kino beendet. (…)“. Und 1984 schrieb er dazu (verkürzt): „Ist der Augenblick zu guter Letzt gekommen, da man mir die Augen zum ewigen Schlaf zudrückt, erscheint auf dem rechten Lid die Schlußpointe: die letzte Vorstellung einer bühnenreif intendierten Lebensführung und -aufführung.“ Die Arbeit 'The End' gehört zu den bekannteren Werken des Künstlers. Diese Installation umfasst ein Foto des geschlossenen Augenlides samt der Tätowierung, auf Leinwand 150 × 150 cm, sowie einen Videofilm in der Länge von 6 Minuten und 8 Sekunden, der die Aneinanderreihung von 60 »End« Einstellungen und Schlussbildern aus verschiedenen Filmklassikern zeigt und anschließend den am 16. Mai 1981 in Samy´s Tattoo Studio, in Frankfurt am Main, durchgeführten Tätowiervorgang.<ref>Vorlage:Webarchiv, Abgerufen am 28. Juni 2012.</ref><ref>Timm Ulrichs: Betreten der Ausstellung verboten, Hrsg. Kunstverein Hannover und Sprengelmuseum Hannover, 2011, S. 59</ref>

Zuletzt ließ er sich am 9. Dezember 2005, durch die Tätowiererin Manuela Langner -Tattoo-Studio sweet Pain Kassel-, an den Unterschenkel den Schriftzug „© by Timm Ulrichs“ tätowieren. Auch über diese Aktion wurde ein Film von fünf Minuten Länge gefertigt.<ref>sueddeutsche.de: Ausstellung: Timm Ulrichs – Die Kunst der Egomanie Abgerufen am 28. Juni 2012</ref><ref>Timm Ulrichs: Betreten der Ausstellung verboten, Hrsg. Kunstverein Hannover und Sprengelmuseum Hannover, 2011, S. 170</ref>

Siehe auch

Literatur

  • Franz Billmayer: Ich kann keine Kunst mehr sehen …. In: Grünewald, D. (Hrsg.): Kunst + Unterricht: (Sammelband) Lernen in Praxisprozessen. Friedrich Verlag, Velber 1996. S. 73 f.
  • Ludger Fischer: Timm Ulrichs setzt sich durch. In: Timm Ulrichs macht mobil. Möbel-Skulpturen und -Installationen, Freiburg 1999, S. 147–148. Gleichzeitig Ausst.-Kat. Atelierhaus Aachen.
  • Bernhard Holeczek: Timm Ulrichs. Braunschweig 1982.
  • Jürgen Raap: Timm Ulrichs. In: Kunstforum international, Bd. 126, 1994.
  • Rita Schoeneberg: Timm Ulrichs, in dies.: 13 von 500000 Menschen aus Hannover, Hamburg: Urban-Verlag, 1999, ISBN 3-924562-04-0, S. 101–111.
  • Christine Korte-Beuckers: Kommunikationskonzepte in der Objektkunst der 1960er Jahre. Theorie der Gegenwartskunst, Bd. 13. Lit Verlag, Münster/Hamburg/London 1999.
  • Matthias Reichelt: Totalkunst im Grünen (Timm Ulrichs). In: Kunstforum international, Bd. 157, 2001
  • Tigo Zeyen, Anne Weber-Ploemacher (Hrsg.), Joachim Giesel (Fotos): 100 hannoversche Köpfe, Hameln: CW Niemeyer Buchverlage, 2006, ISBN 978-3-8271-9251-6 und ISBN 3-8271-9251-X, S. 188f.
  • Ansgar Schnurr: Timm Ulrichs´ künstlerische Forschungen in kunstdidaktischem Erkenntnisinteresse. In: Blohm, Manfred (Hg.): Kurze Texte zur Kunstpädagogik. Flensburg 2008, S. 71–76.
  • Ansgar Schnurr: Über das Werk von Timm Ulrichs und den künstlerischen Witz als Erkenntnisform. Analyse eine pointierten Vermittlungs- und Erfahrungsmodells im Kontext ästhetischer Bildung. Norderstedt, 2009.
  • Thomas Deecke: Die Vermessenheit des Timm Ulrichs. In: Timm Ulrichs: „Blick zurück nach vorn“, Hrsg. Museum Ritter/Gerda Ridler, Heidelberg 2010. ISBN 978-3-88423-347-4.
  • Helmut G. Schütz: Von der zweifelhaften Evidenz des Sichtbaren. Zu Timm Ulrichs' Landschafts-Epiphanien. Mannheim 2012
  • Robert Jelinek: Timm Ulrichs, Hrsg. Der Konterfei 05, Wien 2014. 56 Seiten. ISBN 978-3-9503749-4-0.
  • Lambert Wiesing: Blau von Timm Ulrichs. In: Lambert Wiesing: Phänomene im Bild. München 2000, S. 139–148.
  • Robert Jelinek: Timm Ulrichs – Auf der Überholspur, Hrsg. Der Konterfei 016, Wien 2015. 56 Seiten. ISBN 978-3-903043-05-3.

Weblinks

Quelle

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