"Wiedertäufer-Käfige": Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''"Wiedertäufer-Käfige"''' bezeichnet der Volksmund drei eiserne Körbe an der Südseite des Turms der [[Lambertikirche]], die zu einer touristischen Attraktion und zu einem Wahrzeichen der Stadt Münster geworden sind.
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Eiserne (oder auch hölzerne) Körbe dienten in der mittelalterlichen Strafjustiz vielerorten dazu, lebende Delinquenten oder ihre Leichname nach der Hinrichtung zur Schau zu stellen. Diese öffentliche Präsentation hatte neben dem Abschreckungseffekt den Zweck einer Strafverschärfung, denn der Körper des Hingerichteten wurde so wenigstens zeitweise der Bestattung entzogen. Eisenkörbe, in denen Delinquenten zur Strafe ausgestellt wurden, gab es in Münster am [[Pranger]] als sogenanntes "Rollhäuschen" und an der Wasser-Wippe vor dem [[Mauritztor]].
 
 
 
==Drei Körbe für die Führer der Täufer==
 
 
 
Am [[25. Juni]] [[1535]] nahmen nach sechzehn Monate langer Belagerung die Truppen des Bischofs [[Franz von Waldeck]] und seiner Verbündeten das von den [[Täufer|Täufern]] verteidigte Münster ein. Dabei gerieten nur fünf Anführer der Geschlagenen in Gefangenschaft. Einer, der junge Adlige [[Gerlach von Wullen]], wurde auf Bitten seiner Verwandtschaft begnadigt, ein weiterer, der [[Erbmänner|Erbmann]] [[Christian Kerckerinck]] wurde Ende Juli bei Dülmen durch ein außerordentliches Gericht zum Tode verurteilt und in einem Wäldchen hingerichtet. [[Franz von Waldeck|Franz von Waldecks]] Sohn [[Christoph von Waldeck|Christoph]] hatte während der Täuferherrschaft in Münster gelebt und die Tochter [[Christian Kerckerinck|Kerckerincks]] geheiratet. Der Bischof wollte sich und seinen Untertanen wohl das Schauspiel ersparen, dass der Schwiegervater seines Sohnes öffentlich (in Ketten) verhört und anschließend  vor Publikum zu Tode gefoltert wird.
 
 
 
Die übrigen drei Gefangenen [[Bernhard Krechting]], [[Bernd Knipperdolling]] und [[Jan van Leiden|Johann Bockelson, genannt Jan van Leiden]] wurden am [[25. Juli]] [[1535]] in Haus Dülmen verhört. Dabei soll [[Jan van Leiden]] dem Bischof auf seine Vorhaltung, welche Kosten es verursacht habe, Münster wieder einzunehmen, diesem ironisch geantwortet haben, er solle einen "eysen Korb lassen schmieden", in dem er und [[Bernd Knipperdolling|Knipperdolling]] für einen Pfennig zu besichtigen seien, so werde der Bischof "mehr Geld kriegen, als er verkriegt habe". Ob die Anregung zur Herstellung der "Wiedertäufer-Käfige" auf diese Ankedote zurückgeht, wird nicht zu entscheiden sein. Die Körbe wurden erst Ende [[1535]] fertiggestellt und nicht zum Transport oder zur Vorführung der noch lebenden Täuferführer verwendet.
 
 
 
Angefertigt wurden die drei Eisenkörbe auftragsgemäß von dem Schmied Bertold von Lüdinghausen in Dortmund. Die Körbe messen an ihren Vorderseiten 187x78 cm, 187x76 cm und 179x79 cm. Sie sind aus stärkeren und dünneren Eisenstangen zusammengesetzt. An den Vorderseiten der geschlossenen Kästen sind an je zwei Angeln Türen angebracht, durch die man in die Körbe gelangt. Zwei sich diagonal kreuzende Eisenbügel überhöhen die Oberseite eines jeden Korbs und dienen dazu ihn aufzuhängen. Für den Korb [[Jan van Leiden|van Leidens]] verbrauchte Bertold von Lüdinghausen Stabeisen im Gewicht von "4 Wag minus 13 talente" (etwa 233 - 246 kg). Die Eisenstange eines Korbes trägt die vom Schmied eingeschlagene Jahreszahl MCCCCCXXXV.
 
 
 
==Die "Käfige" am Turm von St. Lamberti==
 
[[Bild:Lambertikirche3_kaefige_k.jpg|framed|right|Die [["Wiedertäufer-Käfige"]] am Turm der [[Lambertikirche]] (Foto: Presseamt der Stadt Münster).]]
 
Am [[6. Januar]] [[1536]] verurteilte ein Inquisitionsgericht in [[Wolbeck]] die drei Gefangenen zum Tode. Ihnen sollte "alles Fleisch mit glühenden Zangen von den Knochen abgerissen und dann Gurgel und Herz mit glühenden Eisen durchstoßen werden". Die öffentliche Vollstreckung des Urteils erfolgte am [[22. Januar]] [[1536]] auf einem Schaugerüst auf dem [[Prinzipalmarkt]]. Die Exekutionen dauerten mehrere Stunden.
 
 
 
Die toten Körper der Exekutierten wurden in die bereitgestellten Körbe gesteckte und anschließend  an der Südseite des Turms von [[St. Lamberti]] hochgezogen und an Haken gehängt. Da der Umgang mit den Gerätschaften eines Scharfrichters - und dazu gehörten die Körbe - für einen Stadtbürger als entehrend galt, war für diese Arbeit eine Gruppe Bauern aus der Umgebung zwangsverpflichtet worden. In der Mitte hing etwas erhöht der Korb des [[Jan van Leiden|"Täuferkönigs"]]. Die bei der Folterung und Hinrichtung verwendeten vier Eisenzangen und das Halsband wurden an den Säulen des [[Rathaus|Rathauses]] angebracht. Die Leichen wurden nie wieder aus den Körben herausgeholt. Sie blieben der Witterung ausgesetzt. Noch [[1585]] sollen letzte Knochenreste zu sehen gewesen sein.
 
 
 
Die prominente Stelle, an der die Körbe zur Schau gestellt wurden, nämlich an der zum Hauptmarkt der Stadt, dem [[Prinzipalmarkt]], zugewandten Turmseite, unterstreicht den Zweck, den der Augenzeuge [[Antonius Corvinus]] nennt, nicht nur ein dauerndes Angedenken zu gewähren, sondern auch zur Warnung und Abschreckung für alle unruhigen und aufrührerischen Geister der Gegenwart und der Zukunft zu dienen.
 
 
 
In den Jahrzehnten und Jahrhunderten nach der Befestigung der Körbe am Turm wurden sie zu einem Wahrzeichen der Stadt: kaum ein Durchreisender oder Besucher, der sie sich nicht zeigen ließ und angelegentlich davon berichtete. In dieser Zeit wandelte sich auch die Bezeichnung in den Berichten der Besucher. Aus den ursprünglichen "Eisenkörben", also Behältnissen für tote Gegenstände, wurden "Wiedertäufer-Käfige", so als seien [[Jan van Leiden|van Leiden]], [[Bernd Knipperdolling|Knipperdolling]] und [[Bernhard Krechting]] gleichsam als lebendige, wilde Tiere dort eingesperrt worden. Zu den prominentesten Besuchern, die die "Wiedertäufer-Käfige" in ihren Werken nennen, gehören [[Fabio Chigi]], der päpstliche Gesandte zum westfälischen Friedenskongress [[1643]] - [[1648]] und spätere Papst Alexander VII., und der Dichter [[Heinrich Heine]], der in seinem "Wintermärchen" vorschlug, was mit den Gebeinen der "heiligen drei Könige" geschehen solle, wenn der Bau des Kölner Doms, ganz nach Heines Wünschen, niemals vollendet werde:
 
 
 
"Folgt meinem Rat und steckt sie hinein
 
 
 
in jene drei Körbe von Eisen,
 
 
 
die hoch zu Münster hängen am Turm
 
 
 
der Sankt Lamberti geheißen."
 
 
 
''(Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput IV)''
 
 
 
==Runter und wieder rauf==
 
 
 
Mit den Jahren war der Turm von [[St. Lamberti]] so baufällig geworden, dass am [[17. Oktober]] [[1881]] mit dem Abriss seines Obergeschosses begonnen wurde. Die drei Körbe wurden am [[3. Dezember]] [[1881]] abgenommen und vorläufig im Hof eines Kaufmanns in der Nähe der Kirche abgestellt. Um sie vor Beschädigungen zu schützen, wurden sie danach auf einem Tisch in der [[Dominikanerkirche]] in der [[Salzstraße]] präsentiert. Dort waren sie noch [[1884]] zu sehen und wurden [[1882]] oder [[1883]] von dem jungen [[Otto Modersohn]] gezeichnet. Zuletzt erhielt der [[Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens]] die drei Körbe als Leihgabe und verwahrte sie am [[Bispinghof]] in einem Schuppen der [[Kerckerinck-Borgscher Hof|Kerckerinck-Borgschen Hofes]].
 
 
 
[[1887]]/[[1888]] wurde auch der untere Turmteil abgebrochen und am [[4. Oktober]] [[1888]] wurde der Grundstein für den Turmneubau gelegt. Es dauerte elf Jahre, bis am [[22. September]] [[1898]] die drei Eisenkörbe wiederum an der südlichen Seite des neuen, optisch sehr veränderten Kirchturms über der Turmuhr befestigt werden konnten.
 
 
 
[[1927]] wurden die Körbe erneut abgenommen und in der Kunstschlosserei Kirschbaum an der [[Scharnhorststraße]] überprüft. Nach kleineren Ergänzungen im Eisenwerk und einem Rostschutzanstrich fanden sie ihren alten Platz wieder.
 
 
 
Am [[18. November]] [[1944]] riss bei einem [[Bombenangriff]] eine Bombe ein Stück aus der Südwestseite des Turmes und zerstörte die Eckfiale und einen der acht Pfeiler, die den Turmhelm trugen. Auch die Querstangen, an der die Körbe hingen, waren von diesem Pfeiler gestützt worden. Ein Korb stürzte in einen Bombentrichter auf dem Kirchplatz, ein zweiter auf die Orgelbühne, der dritte blieb über der Uhr hängen. Erst nach dem Kriegsende, am [[20. Juli]] [[1945]], wurde der stark beschädigte Eisenkorb bei Aufräumarbeiten aus dem Bombentrichter geborgen. Nachdem im Herbst [[1948]] der zerstörte Eckpfeiler des Turms von [[St. Lamberti]] wieder aufgemauert war, wurden auch die zwischenzeitlich reparierten Eisenkörbe hochgezogen und befestigt. Während der Überholungsarbeiten sind offensichtlich die Metallkrabben auf den Bügeln der Körbe entfernt worden. Auch erfolgte die Aufhängung in einer Weise, die leicht von der der Vorkriegszeit abweicht.
 
 
 
==Die "Wiedertäufer-Käfige" heute: Abnehmen oder hängen lassen?==
 
 
 
Es gibt die touristische Wahrnehmung der "Wiedertäufer-Käfige". Sie sind aus dem Stadtbild und seiner Vermarktung kaum wegzudenken. Daneben stellen sich Münsteraner Bürger aber auch die Frage, ob das demonstrative Zur-Schau-Stellen von Instrumenten der Strafjustiz aus einer Zeit konfessionell motivierter Grausamkeiten noch zeitgemäß sei. Für die "Traditionalisten" sind die Körbe immer noch eine Warnung vor den Folgen von Aufruhr. Alljährlich wird im [[Dom]] am [[25. Juni]] eine Dankmesse für die "Befreiung von der Schreckensherrschaft der Wiedertäufer" gelesen (seit [[1948]] verbunden mit dem Dank für den "mit Gottes Hilfe erfolgten" [[Wiederaufbau]] Münsters). Andere Befürworter des Verbleibs der drei Körbe am Turm argumentieren, sie seien als sichtbare Dokumente der Grausamkeit der  im Mittelalter Herrschenden zu erhalten, es fehle aber eine historische Erläuterung etwa in Form einer Hinweistafel.
 
 
 
Teil dieser Rezeption der "Wiedertäufer-Käfige" als historischer Denkmäler wurde die [[1987]] im Rahmen der Ausstellung [["Skulptur im öffentlichen Raum"]] in ihnen angebrachte Installation [["Irrlichter"]] von [[Lothar Baumgarten]]. Er hängte in die Körbe je eine elektrische Glühbirne, die nun - so ein Katalog - an die "Seelen der drei Wiedertäufer" erinnern sollen.
 
 
 
==Originale und Kopien==
 
 
 
Am Turm von [[St. Lamberti]] hängen die "originalen"  "Wiedertäufer-Käfige" von [[1535]]/[[1536]]. Das offensichtlich unausrottbare Gerücht, es handele sich dort oben um Kopien, die Originale befänden sich im [[Stadtmuseum]] in der [[Salzstraße]], hat der Gründer des [[Zoologischer Garten|Zoologischen Gartens]] [[Hermann Landois]] in die Welt gebracht. Als Ende des 19. Jahrhunderts der Neubau des Turms von [[St. Lamberti]] vollendet war, wollte der [[Magistrat]] die Originalkörbe durch Nachbildungen ersetzen lassen, scheiterte mit diesem Ansinnen aber an einem Verbot der preußischen Regierung. Die bereits gefertigten und angekauften Kopien standen unnütz herum, bis sie der pfiffige [[Hermann Landois|Landois]] entdeckte, sie für 300 Reichsmark ankaufte und zu Werbezwecken in "seinen" [[Zoologischer Garten|Zoologischen Garten]] an der [[Himmelreichallee]] bringen ließ. Er behauptete fortan, er besitze die Originale der "Wiedertäufer-Käfige", die "anderen am Turm" seien Kopien. Nebenbei zeigte er in seinem Skurrilitätenkabinett u.a. auch das "Original-Bügeleisen" des "Schneider-Königs" [[Jan van Leiden]].
 
 
 
Nach der Schließung des alten [[Zoologischer Garten|Zoologischen Gartens]] blieben die drei Landois'schen Körbe zurück, bis sie - zwischenzeitlich restauriert - vom Direktor des neuen [[Allwetter-Zoo|Zoos]] [[Götz Ruempler]] dem [[Stadtmuseum]] geschenkt wurden.
 
 
 
Drei weitere Körbe wurden im Juni [[2007]] während der [[Skulptur Projekte|skulptur projekte Münster 07]] als Teil eines Projekts der amerikanischen Künstlerin [[Martha Rosler]] vor dem Eingang der [[Stadtbücherei]] aufgestellt. Rosler löste Fragmente des öffentlichen Raums als Kopien - neben den "Käfigen" das Adleremblem am Gebäude des [[Lufttransportkommando|Lufttransportkommandos]] und einen Bambustunnel aus dem [[Botanischer Garten|Botanischen Garten]] - aus ihrer Umgebung, um sie an anderer Stelle im Stadtbild zu platzieren.
 
 
 
==Literatur==
 
* ''Kirchhoff, Karl-Heinz ; Die "Wiedertäufer-Käfige" in Münster. Zur Geschichte der drei Eisenkörbe am Turm von St. Lamberti; Münster : Aschendorff 1996; ISBN 3-402-05355-1''
 
 
 
 
 
[[Kategorie:Geschichte]]
 

Version vom 29. Oktober 2017, 13:22 Uhr

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